Stellungnahme zu „mistletoe therapy in oncology“ (cochrane-review 2008)
Stellungnahme zu: Mistletoe therapy in oncology (Cochrane-Review 2008)
(Horneber MA, Bueschel G, Huber R, Linde K, Rostock M: Mistletoe in oncology (Review). 2008 The Cochrane Collaboration. Published by John Wiley & Sons, Ltd) In dem Cochrane-Review zur Misteltherapie (2008) wird resümiert, dass die vorhandene Evi-denz nicht ausreiche, um einen zwingenden Einsatz der Misteltherapie zu unterstützen. Dieses Resümee ist sicherlich konsensfähig. – Die weitere Beurteilung jedoch, dass die Studienevi-denz generell schwach sei, bedarf kritischer Sichtung. Allgemein ist zu sagen: Das Cochrane-Review ist nicht vollständig und nicht aktuell, der Be-wertungsformalismus ist inadäquat, und die Sachbeurteilungen sind nicht konsistent und oft nicht korrekt. – Bei entsprechender Korrektur der Bewertungen kommt man zu einem anderen Gesamtbild der Mistelstudien (zu Details siehe www.mistel-therapie.de).
Zur Vollständigkeit und Aktualität
Das Cochrane-Review erstreckt sich auf 21 randomisierte Studien (RCTs), ferner wurden 1 HTA-Bericht und zwei systematische Reviews diskutiert. Nicht berücksichtigt sind: 9 RCTs zu Überlebenszeit, Tumorverhalten und Lebensqualität; 1 Re-Analyse einer RCT; 1 Meta-Analyse; 1 systematisches Review; 1 HTA-Bericht. Deren Publikationen verteilen sich wie folgt:
- publiziert 1987 [1]: 1 RCT - publiziert 1999 [2]: 1 RCT - publiziert 2005 [3]: 1 RCT - publiziert 2006 [4-7]: 1 RCT, 1 Re-Analyse einer RCT, 1 HTA-Bericht - publiziert 2007 [8-12]: 5 RCTs und 1 systematisches Review - publiziert 2008 [13]: 1 Meta-Analyse
Zu Details siehe auch www.mistel-therapie.de. Das Cochrane-Review ist demnach nicht vollständig bzw. nicht aktuell.
Zum Bewertungsformalismus
Der im Cochrane-Review gewählte Bewertungsformalismus ist inadäquat, und zwar aus fol-gendem Grund:
Es gibt zahlreiche formale Bewertungsscores; ihr Einsatz führt bei identischen Studien zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen (s. z.B. [14]). Das Cochrane-Review benutzt zwei Scores (Ja-dad-Score, Delphi-Liste), in denen am stärksten die Verblindung der Studientherapie gewich-tet ist: von den maximal 5 Jadad-Punkten werden 2 Punkte (40%) für die Verblindung verge-ben, von den maximal 9 Delphi-Punkten sind es 3 Punkte (30%). Durch die Wahl dieser Be-wertungsskalen war von vornherein festgelegt, dass die Mistelstudien notwendigerweise schlecht abschneiden müssen, gleichgültig wie gut oder schlecht sie tatsächlich sind. Warum? Subkutane Mistelinjektionen führen anfangs an der Injektionsstelle zu schmerzhafter Schwel-lung und Rötung, können deshalb prinzipiell nicht verblindet werden und werden bei versuch-ter Verblindung sicher entblindet. (Dies wurde mehrfach in Studien empirisch untersucht und nachgewiesen. Viele Mistelstudien verzichten deshalb auf eine pro-forma-Verblindung.) Ent-sprechend sind im Cochrane-Review alle Mistelstudien abqualifiziert, auch die formell als Doppelblindstudien durchgeführten. Nicht deutlich gemacht ist aber das dabei bestehende Dilemma: dass nämlich die Studien zur subkutanen Misteltherapie in den Bewertungsscores
des Cochrane-Reviews aus Prinzip schlecht abschneiden müssen (weil die Verblindung un-möglich ist). Der gewählte Bewertungsformalismus ist deshalb nicht adäquat. Man mag bedauern, dass die Misteltherapie gegenüber der Verblindung so sperrig ist. Es ist ähnlich wie bei Physiotherapie, Chirurgie, Psychotherapie, etc. Absurd wäre aber, alle diese Therapien deshalb pauschal abzuqualifizieren. Das Cochrane-Review hätte zumindest er-kenntlich machen müssen, dass bei der gewählten Bewertungsmethode die Misteltherapie keine Chance zur positiven Evidenzqualifizierung hat. Im Übrigen führt die pauschale Forderung nach Verblindung (von Patient, Arzt, Beurteiler) auch zu skurrilen Konsequenzen: Sie unterstellt u.a., dass ein Arzt den Todeszeitpunkt eines Patienten nur dann zuverlässig feststellen kann, wenn er nicht weiß („verblindet“ ist), ob der Patient vorher Misteltherapie bekam oder nicht.
Zur Inkonsistenz der Beurteilungen
Nach willkürlicher Setzung von Cut-off-Werten und nach Abzug der besagten „Verblin-dungspunkte“ können Mistelstudien nach dem Jadad-Score überhaupt nicht mehr positiv ab-schneiden, und nach der Delphi Liste genügt ein einziger weiterer Punktabzug, damit die Stu-die dann als schlecht bewertet wird. Deshalb benötigen die übrigen methodischen Bewertun-gen besondere Sorgfalt und Ausgewogenheit, wohingegen Fehler, Intransparenz, subjektive Neigungen, unterlassenes Nachfragen beim Studienautor etc. rasch den ungerechtfertigten Ausschlag für eine Auf- oder Abwertung der Studien geben können.
So stellt sich die Frage, warum in dem Cochrane-Review die Studien mit Nullergebnis (d.h. keine Überlegenheit der Misteltherapie gegenüber der Kontrollgruppe) so positiv bewertet und ihre teils massiven Schwächen nicht dargestellt oder diskutiert wurden, während Studien mit positivem Ergebnis (d.h. Überlegenheit der Misteltherapie) abqualifiziert wurden, und zwar auch in Punkten, in denen sie gleich gut oder besser sind als die Studien mit Nullergeb-nis, ebenso auch in Punkten, die zwar in der Primärpublikation nicht klar beschrieben sind, die aber in einer Zweitpublikation oder im Studienbericht nachlesbar sind oder bei den Stu-dienautoren nachgefragt werden können.
Dies soll an Beispielen dargestellt werden.
1. Beispiel: Umgang mit Drop-outs z.B. in den Studien von Piao (2004) und Steuer-Vogt (2001) Bewertung durch das Cochrane-Review: Die Piao-Studie (sie zeigt eine Überlegenheit der Misteltherapie) wird kritisiert und abgewertet, da nicht alle Patienten die Studie beendet ha-ben (dies sind „Drop-outs“, wie sie ubiquitär in fast allen klinischen Studien vorkommen), da außerdem die Gründe hierfür nicht genannt seien, da die Drop-outs in beiden Gruppen unaus-gewogen seien und diese Drop-outs nicht in die Studienauswertung eingegangen seien. Die Studie von Steuer-Vogt dagegen (keine Überlegenheit der Misteltherapie) erhält hinsichtlich der Drop-outs einen Pluspunkt.
Fakt ist: 1.) Beide Studien wurden nach intention-to-treat ausgewertet, d.h. alle Patienten wurden ausgewertet, als ob sie die durch Randomisation zugewiesene Therapie tatsächlich erhalten hätten, unabhängig davon, ob dies wirklich der Fall gewesen war. Diese Auswer-tungstechnik ist heute Standard. 2.) Darüber hinaus lag die Drop-out-Rate in der Studie von Piao nur bei 4%. Dies ist derart marginal, dass ein möglicher Einfluss auf das Studienergebnis eher theoretischer Natur ist. In der Studie von Steuer-Vogt lag die Drop-out-Rate bezüglich Überleben bei 9%, und bezüglich Lebensqualität bei 32% nach 1 Jahr und bei 53% nach 2 Jahren. Bei Piao sind die Gründe für die Drop-outs sehr wohl genannt (im Internet frei ver-fügbarer Biometrischer Studienbericht); bei Steuer-Vogt sind die Drop-outs großteils nicht einmal hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zu Mistel- und Kontrollgruppe differenziert aufge-
führt, so dass – im Gegensatz zu den diesbezüglichen Angaben des Cochrane-Reviews – eine Ausgewogenheit gar nicht beurteilt werden kann.
Die Kritik des Cochrane-Reviews, dass in der Piao-Studie die Daten der ausgeschiedenen Patienten nicht in die Lebensqualitätsauswertung eingegangen seien, ist sachlich unsinnig. Die Lebensqualität kann nur ausgewertet werden, wenn die entsprechenden Fragebögen auch ausgefüllt sind, anders als Daten, die auch außerhalb der Studienteilnahme des Patienten ent-stehen wie z.B. die Daten zu Überlebenszeit, Todeszeitpunkt und Tumorverhalten. Dies ist ein in der Literatur bekanntes, vieldiskutiertes und ungelöstes Problem (s. z.B. [15;16]), weshalb auch eine pauschale Abqualifizierung der betreffenden Studie nicht sachlich überzeugend ist. Das gleiche Problem liegt nun aber auch bei der Studie von Steuer-Vogt vor. In Bezug auf den primären Zielparameter dieser Studie wurde ein Teil des Drop-outs (nämlich 4%: 495 randomisiert, 477 ausgewertet) ebenfalls nicht bei der Auswertung berücksichtigt, obwohl dies technisch möglich gewesen wäre, im Gegensatz zu jenen 4% bei Piao. Ferner wurde na-turgemäß auch der 32%- bzw. 53%-Drop-out zur Lebensqualität nicht in den entsprechenden Auswertungen berücksichtigt.
Ergo: Die Studie von Steuer-Vogt ist in Bezug auf den Umgang mit Drop-outs keinesfalls besser als die Piao-Studie. Wohlwollend gesehen ist sie in dieser Hinsicht mit der Piao-Studie allenfalls vergleichbar, eigentlich aber deutlich schlechter. Dennoch erhält sie einen diesbe-züglichen Pluspunkt, die Piao-Studie dagegen einen Minuspunkt. Dies ist sachlich falsch und macht einen tendenziösen Eindruck.
2. Beispiel: Bewertung der prognostischen Vergleichbarkeit in den Studien von Gros- sarth (2001a/b) und Kleeberg (2004) Bewertung durch das Cochrane-Review: Die Frage, ob die Studiengruppen in Bezug auf prognostische Faktoren als vergleichbar angesehen werden können, führt zu einem Minus-punkt bei den Grossarth-Studien (sie zeigen eine Überlegenheit der Misteltherapie), dagegen zu einem Pluspunkt bei der Kleeberg-Studie (keine Überlegenheit).
Fakt ist: In der Mammakarzinom-Studie von Grossarth waren die Patienten (Mamma Ca., N>1, M=O) vor der Randomisation zu jeweiligen Paaren gematcht (das ist eine systematische Bildung passender Paare), und zwar hinsichtlich Stadium (IIIA und IIIB), Menopausenstatus, Chemotherapie, Strahlentherapie, Hormontherapie, Alter, Jahr der Erstdiagnose. (In der zwei-ten Grossarth-Studie waren es ähnliche Matching-Kriterien.) Das heißt: Die Patienten waren in Bezug auf diese prognostisch relevanten Parameter vergleichbar. Erst nach diesem Mat-ching wurde aus dem in sich vergleichbaren Paar je ein Patient in die Mistel- und die Kon-trollgruppe randomisiert. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Vergleichbarkeit im Coch-rane-Review als nicht gewährleistet gewertet wurde.
Demgegenüber bestehen in der Studie von Kleeberg explizierte deutliche Unterschiede in der Geschlechtsverteilung: Frauen waren mit 35,6 vs. 46,5% in der Mistelgruppe deutlich unter-repräsentiert, was für das Überleben relevant ist. Zum Beispiel hatten im Stadium IIb (was für die Hälfte der Patienten zutrifft: 49 bzw. 48%) die Frauen ein hochsignifikant besseres Über-leben (p=0,0009) als die Männer. Diese relevante Ungleichverteilung der beiden Gruppen geht zu ungunsten der Mistelgruppe. Wäre diese Ungleichverteilung in der letzten Auswer-tung (multivariate Analyse) berücksichtig worden, hätte dies eventuell ein positiveres Ergeb-nis für die Überlebenszeit in der Mistelgruppe bedeutet.
Ergo: Die Studie von Kleeberg ist hinsichtlich der Vergleichbarkeit prognostisch relevanter Faktoren keineswegs der Studie von Grossarth überlegen, sie zeigt sogar eine deutliche und für die Überlebenszeit relevante Ungleichverteilung. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Kleeberg-Studie diesbezüglich einen Pluspunkt erhielt, die Grossarth-Studien dagegen einen Minuspunkt. Die Bewertung macht einen tendenziösen Eindruck.
3. Beispiel: Verblindung bei Borrelli (1999) und bei Dold (1991) Bewertung durch das Cochrane-Review: In der Studie von Borrelli (sie zeigt eine Überlegen-heit der Misteltherapie) waren, laut E. Borrelli, die Ärzte und Patienten gegenüber der Mistel-therapie verblindet. Dennoch wird die Studie als nicht verblindet bewertet („not blinded“). In der Studie von Dold dagegen (sie zeigt keine Mistel-Überlegenheit bezüglich Tumorremission und Überlebenszeit) waren die Ärzte und Patienten nicht gegenüber der Therapie verblindet, es war eine als offen geplante und durchgeführte placebokontrollierte Studie. Dennoch vergibt hier das Cochrane-Review einen Pluspunkt in der Delphi-Liste an der Stelle der „adäquaten Verblindung der Patienten“. Dies ist nicht nachvollziehbar. Außerdem habe es in der Dold-Studie eine echte Verblindung des „Outcome Assessor“ gegeben. Dies ist ebenfalls nicht nachvollziehbar; im Studienbericht steht, dass die Ärzte nicht verblindet waren, und dass die-se (nicht-verblindeten) Ärzte die Befunde (das Outcome) erhoben und in Befundbögen eingetragen haben.
Weitere Ungereimtheiten Grossarth-Studien, Borrelli-Studie: Jede dieser Studien bekommt im Cochrane-Review einen Punktabzug, weil die Randomisation nicht geheim gewesen sei. Mit dem „allocation con-cealment“ soll verhindert werden, dass der aufnehmende Arzt das nächste Randomisationser-gebnis erraten oder abschätzen kann und dass diese Kenntnis zu einer Manipulation der Auf-nahme des nächsten Patienten führen könnte. Fakt ist aber: In der Borrelli-Studie wurde die Randomisation von einer unabhängigen Person durchgeführt, die keinen Kontakt zu den Pati-enten-aufnehmenden entscheidenden Studienärzten hatte (= Definitionskriterium für „con-cealment“ laut Delphi Liste). In den Grossarth-Studien war die jeweilige zu randomisierende Einheit (gemachtes Patientenpaar) stets schon vor der Randomisation komplett in die Studie aufgenommen; da die Randomisation erst zeitlich danach erfolgte, war sie aus Sicht der vo-rangegangenen Patientenaufnahme zwangsläufig geheim gewesen (concealed). – Die Punkt-abzüge der betreffenden Studien waren also einmal eindeutig nicht korrekt und einmal zu-mindest diskussionswürdig. Im Übrigen wird reklamiert, es sei bei der Grossarth-Studie unklar, ob die Patienten eingewil-ligt hätten, an der Studie teilzunehmen. Fakt ist: Alle Patienten waren über die Studie aufge-klärt. („Consent to participate in the study was assumed after comprehensive information about the study objectives and the study design and the patient’s explicit expression of will-ingness to participate“ [4] – Des weiteren wurde entsprechend dem Randomized Consent De-sign nach Zelen verfahren.) In Bezug auf die Grossarth-Studien wird übrigens auch das Problematische der Beschränkung des Cochrane-Reviews auf randomisierte Studien deutlich. Die beiden im Cochrane-Review berücksichtigen RCTs (sowie die weiteren Grossarthschen RCTs zur Misteltherapie) sind Teil einer großen epidemiologischen Kohortenstudie mit ca. 10.000 Patienten und darin zusätzlich eingebetteten großen prospektiven Matched-Pair-Studien [4;5;8-10;13;17;18]. Während randomisierte Studien üblicherweise eine sehr geringe externe Validität haben – d.h. sie sagen kaum etwas über die Wirksamkeit einer Therapie in der Praxis aus, da sie z.B. hochselektio-nierte Patienten aufnehmen (meist weniger als 1% der relevanten Diagnosegruppe [19]), da sie außerdem die meisten relevanten Begleiterkrankungen ausschließen, da sie sich auch in Bezug auf Diagnostik, Therapie, Begleittherapie und Follow-up von den alltäglichen Behand-lungsbedingungen gravierend unterscheiden [19;20] – zeichnet sich demgegenüber die Studie von Grossarth durch eine extrem hohe externe Validität aus. Sie interferiert nicht mit der The-rapie, sie greift nicht einmal durch aufwendige Erhebungsmethoden und diagnostische Ver-fahren in den natürlichen Behandlungsablauf ein. Damit erfasst sie weitgehend unverzerrt die Patientenbehandlung im reellen Alltag. Um dennoch die so genannte interne Validität – d.h.
die möglichst verzerrungsfreie Beurteilung bestimmter Therapien – punktuell zu überprüfen und zu stärken, sind in diese große Kohortenstudie eine Anzahl kleinerer RCTs eingebettet. Damit meistert Grossarth dasjenige, was die große Schwäche fast aller experimentellen und naturalistischen Studien ist: die interne und externe Validität innerhalb eines einzigen Stu-dienkomplexes zu maximieren. Werden nun aber die einzelnen eingebetteten RCTs – wie im Cochrane-Review – isoliert und unabhängig von ihrem Kontext beurteilt, so entspricht dies einem reduzierten Tunnelblick, der keine realistische Beurteilung ermöglicht. Im Übrigen ist auch die Aussage des Cochrane-Reviews, dass bei den Grossarth-Studien der Mangel an Information über Therapiedetails den Informationswert dieser Studien begrenzen würde, vor diesem Hintergrund relativiert. Die Studien geben zwar keine Auskunft, ob bei-spielsweise Iscador A oder Iscador M für eine betreffende Indikation wirksamer ist, oder ob die Misteltherapie rasch oder eher zögerlich aufdosiert werden sollte, sie untersuchen aber die Frage, ob die Misteltherapie, so wie sie in der realen Welt von den Ärzten eingesetzt wird, überhaupt einen therapeutischen Benefit hat. Dieser Frage kann man eine gewisse Relevanz nicht absprechen, so wie ja auch das Cochrane-Review zu Recht in seinem Resümee letztlich global urteilt und nicht nach Wirtsbaum und Dosierung differenziert. Dass Grossarth im wei-teren die jenseits der Studientherapie erhaltenen sonstigen Therapien nicht differenziert auflis-tet, entspricht dem Usus in klinischen Studien. Auch in den Studien von Kleeberg oder Steu-er-Vogt ist nichts über die Therapien dokumentiert, die jenseits der Studientherapie eingesetzt wurden – auch wenn man davon ausgehen kann, dass die Patienten zwischen Operation und Tod noch einiges an sonstigen Behandlungen erhalten haben.
Piao-Studie: Wenn eine Verblindung nicht verlässlich möglich ist, gilt allgemein eine aktive, wirksame Therapie der Kontrollgruppe als vernünftige Alternative – obgleich dabei die Ge-fahr besteht, dass der Erfolg der Prüftherapie unterschätzt wird, was aber wiederum nicht der vorherrschenden konservativen Grundhaltung der klinischen Forschungswelt widerspricht. Dieser Ansatz wurde in der Piao-Studie aufgegriffen. Im Cochrane-Review wird dieser An-satz nicht als vernünftige Alternative gewürdigt; vielmehr wird kritisiert, dass der Therapie-benefit der Mistelextrakte nicht abschätzbar sei, da unklar sei, welche Wirkung die eingesetz-te Kontrolltherapie (Lentinan) habe. Dies ist allerdings so auch nicht ganz richtig, denn im-merhin gibt es eine Reihe klinischer Studien zu Lentinan, die für diese Frage konsultiert wer-den können. Gutsch-Studie(1988): Diese Studie wurde aus dem Cochrane-Review ausgeschlossen, weil ein Randomisationsfehler aufgetreten sei. Davon ist in der Gutsch-Publikation nicht die Rede, beschrieben werden hingegen Protokollverletzungen, d.h. dass die zugeteilte Therapie nicht von allen Patienten erhalten wurde. Dies kommt im Prinzip in klinischen Studien häufig vor. (Meist wird deshalb nach intention-to-treat und per-protocol ausgewertet, Gutsch wertete as-treated aus.[21]) Die Studie hätte also, als randomisierte Studie, eingeschlossen werden müs-sen.
Kienle-Review (2003): Dieses Review habe versäumt („failed to“), die beiden unpublizierten Studien von Lange 1993 und Schwiersch 1999 einzuschließen: Fakt ist: Das Nicht-Publiziertsein von Studien war Ausschlusskriterium für das Kienle-Review von 2003. – Kien-le habe des weiteren auch versäumt, die publizierte Studie von Borrelli einzuschließen. Dies trifft für Kienle 2003 zu, nicht aber für den HTA-Bericht von Kienle 2006 [6;7] und und das Review von Kienle 2007 [12]. – Kienle 2003 habe außerdem die o.g. Gutsch-Studie fälschlich als randomisierte Studie eingeschlossen. Es handelt sich aber, wie gesagt, in der Tat um eine randomisierte Studie. – Kienle 2003 habe Salzer 1987 zweimal eingeschlossen: einmal als randomisierte und einmal als nicht-randomisierte Studie. Fakt ist: Es handelt sich um zwei verschiedene Studien, einmal zum Bronchialkarzinom und einmal zum Mammakarzinom. – Das Cochrane-Review meint außerdem, die in Kienle 2003 mit „Salzer 1987“ bezeichnete Studie sei identisch mit Gutsch 1988 (im Cochrane-Review auch als „Günczler 1974“ be-zeichnet). Dies ist ebenfalls falsch: Weder ist Gutsch 1988 identisch mit der RCT zum Bron-
chialkarzinom, noch mit jener quasi-randomisierten Studie zum Mammakarzinom, die zeitlich vor der Gutsch-Studie durchgeführt worden ist. Die betreffende randomisierte Bronchialkar-zinomstudie wurde im Cochrane-Review übersehen und nicht erfasst.
Weiteres
Es gibt nicht wenige weitere Detailfehler; es kann hier aber nicht auf alles eingegangen wer-den. – Fragwürdig ist beispielsweise auch, dass alle nicht-randomisierten Studien a priori aus-geschlossen wurden, zumal eine Fragestellung des Cochrane-Reviews das Tumorresponse unter Misteltherapie betraf und dieses bekanntlich in den nicht-randomisierten Studien viel besser untersucht und zur Darstellung gebracht ist als in den randomisierten. Eigentümlich ist auch, dass der Entschluss zur Durchführung dieses Cochrane-Review entstanden sei aufgrund von Diskrepanzen zwischen früheren Reviews (z.B. Kienle 2003a, Ernst 2003, Lange-Lindberg 2006), dass aber das Protokoll für dieses Cochrane-Reviews bereits lange vor den genannten aktuellen Reviews im Library der Cochrane Collaboration zugänglich war.
Gesamtbild der Mistelstudien
Bei Berücksichtigung der Kritikpunkte, die hier gegenüber dem Cochrane-Review vorge- bracht sind, erhält man ein anderes Gesamtbild der Mistelstudien. Die meisten Studien weisen Stärken und Schwächen auf – im größeren oder geringeren Aus- maß wie andere klinische Studien auch –, es gibt aber einige anspruchsvoll durchgeführte Studien. (Im Übrigen haben die im Cochrane-Review als „hochwertig“ bezeichneten Mistel- studien mit Nullergebnis durchaus teils erhebliche Qualitätsmängel, die allerdings in jenem Review nicht zur Sprache kame oder [22]). Die beste Evidenz gibt es derzeit für die Verbesserung der Lebensqualität und die Verbesserung der Verträglichkeit konventioneller onkologischer Therapien. Überlebensvorteile unter Mis- teltherapie wurde in vielen Studien gezeigt, aber nicht jenseits von Kritik. Tumorremissionen sind in nicht-randomisierten Studien zum Teil ausführlich dokumentiert, ihr Auftreten scheint abhängig zu sein von der Art der Applikation und Dosierung. Zu hoffen ist, dass eine noch weitere Vertiefung der Evidenzbasis durch künftige Studien er- folgen wird. Anzumerken ist jedoch, dass sich die Forderung nach „hochwertigen“ Studien leicht stellen lässt, dass die praktische Umsetzung jedoch erheblichen Schwierigkeiten unter- worfen ist. So sind aufgrund der massiven bürokratischen Hürden heute kaum noch Industrie- unabhängige Studien möglich. Klinische Studien verschlingen aufgrund bürokratischer Forde- rungen große Summen (Kosten pro versorgungsrelevanter RCT wurden in USA mit durch- schnittlich 12 Millionen US$ berechnet [23]); in Deutschland sind größere Studien zur Mistel- therapie wegen der Rekrutierungs- und Randomisationsproblematik kaum möglich, so dass man zur Durchführung ins Ausland ausweichen muss, und die Verblindung birgt ohnehin die o.g. Probleme. Dennoch bestehen rege Forschungsaktivitäten zur Misteltherapie; die Anzahl der klinischen Studien hat in den letzten Jahren massiv zugenommen, und diese Tendenz wird sich wohl auch künftig fortsetzen. 8. Mai 2008 Dr. med. Gunver S. Kienle, Dr. med. Helmut Kiene Institut für angewandte Erkenntnistheorie und medizinische Methodologie, 79111 Freiburg, Zechenweg 6 www.ifaemm.de Literatur
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Innovation Place Newsletter April 1999 Edition Fermentation pilot plant officially opened The Saskatchewan Research Council's (SRC) new fermentation pilot plant at Innovation Place was officially opened on March 12, by Minister of Natural Resources Ralph Goodale, on behalf of Agriculture and Agri-Food Minister Lyle Vanclief, with Saskatchewan Premier Roy Romanow. Constructed with the assistance
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